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Süddeutsche Zeitung, 20. Dezember 2019, Pastetten
Der Ingwerkönig
Philip Martin stellt in seiner kleinen Manufaktur aus der Wurzel nach eigenem Rezept Sirup her.
15 Jahre war er als Werbe- und Marketingmanager ständig unterwegs - dann stieg er aus
Von Vanessa Neuss
Strahlend steht Philip Martin in seiner Sirup Manufaktur in Pastetten. Es riecht frisch und scharf
zugleich - nach Ingwer und Zitrone. Der Ingwer wartet in Kisten auf dem Boden. Zwei Flaschen des
Ingwersirups befinden sich auf einem hölzernen Tisch. Auf der alufarbenen Arbeitsplatte steht ein
gelbes Legobauwerk und ganz oben sitzt ein Legomännchen wie auf einem Thron. "Das hat mein
Sohn gebaut. Da oben sitzt der Ingwerkönig - also ich", sagt Martin grinsend.
Vor sechs Jahren saß Martin in der Businesslounge am Züricher Flughafen. Um ihn herum hauptsächlich
Männer in maßgeschneiderten Anzügen mit den neuesten iPhones, Tablets und Laptops.
Er belächelte diese Männer. "Vielleicht habe ich sie sogar etwas verachtet mit ihren Statussymbolen",
sagt er. Dann schaute er sich selbst an und stellte fest: Er war einer von ihnen.
Spätestens an diesem Schlüsselerlebnis fasste er den Entschluss: "So möchte ich nicht mehr weitermachen."
15 Jahre lang war er als Werbe- und Marketingmanager ständig unterwegs, flog mehrmals
die Woche in die Schweiz und lebte quasi immer in der Zukunft. Kampagnen müssten immer
auf lange Zeit geplant werden.
"Meinen Sirup mache ich im Hier und Jetzt", sagt Martin. Nach dem Entschluss, seinen Job in der
Marketingwelt an den Nagel zu hängen, nahm er sich ein Jahr frei. In diesem Jahr kam er auch zum
Ingwersirup. Am Viktualienmarkt in München kaufte Martin regelmäßig Sirup für seine Frau.
Irgendwann gab es den kleinen Laden nicht mehr. Also beschloss er, selbst Sirup zu kochen. "Nach
fünf oder sechs Versuchen war ich der Meinung: Meiner schmeckt besser", erinnert er sich lachend.
Am Montag kauft Martin auf dem Großmarkt ein. Dort ist er schon bekannt. "Die Verkäufer sehen
mich und rufen 'Ah, der Ingwerman'", sagt der Manufakturbesitzer. Er suche immer nach dem besten
Ingwer. Der kann aus Brasilien, Afrika oder China kommen. Wichtig sei, dass er nicht faserig
ist - nicht zu trocken, aber auch nicht zu nass. Der faserige Ingwer habe Martin schon viel Kopfschmerzen
bereitet. "Wenn der Ingwer zu trocken ist, setzt er sich in der abgefüllten Flasche ab",
erklärt er. Bis er darauf kam, dass das Absetzen mit dem Ingwer zu tun hat, verging einige Zeit.
Tränen und Schweiß hätten zu dem ganzen Weg dazu gehört, sagt er. Viele Kollegen aus der Branche
oder auch Freunde sagten immer wieder zu Martin: "Versuch es doch mal mit natürlichen Konservierungsstoffen."
Das kam für den Manufakturbesitzer nicht in Frage. Er habe ein Produkt
erschaffen, das aus folgenden Inhalten besteht: Wasser, Ingwer, Zitronen, Zitronensäure und
Zucker. Und dabei wolle er auch bleiben - ein Produkt ohne Zusatzstoffe. "Genau das schätzen auch
meine Kunden", so Martin.
15 kleine Läden verkaufen den Ingwersirup der Sirup Manufaktur bis jetzt. Außerdem kann der
Sirup direkt in seiner Manufaktur in Pastetten erworben werden. Im Hofladen in Finsing, in der
Metzgerei Elst in Markt Schwaben, im Teelikat in Kirchheim oder im Dorfladen in Pastetten steht
der handgemachte Sirup zum Beispiel bereits in den Regalen. Martin will seinen Ingwersirup ganz
bewusst nicht an große Supermarktketten verkaufen. Von verschiedenen kleinen Unternehmen
mit besonderen Produkten habe er mitbekommen, dass sie nach nicht allzu langer Zeit Insolvenz
anmelden mussten. Deals mit großen Ketten führten oft zur Aufgabe der Start-Ups. Das möchte
Martin auf jeden Fall vermeiden. "Mir gefällt es so wie es jetzt ist - vor allem das direkte Feedback
der Kunden", sagt er.
Am Freitag lädt Martin seinen Transporter mit kistenweise Ingwersirup voll und fährt ihn an seine
Kunden aus. Hier hört er die "Ingwergeschichten", wie er sie selbst nennt. Eine Opernsängerin
würde Martins Ingwersirup immer trinken, wenn ihre Stimme belegt wäre und anschließend
könne sie ihre Stimme wieder uneingeschränkt nutzen. Martin erinnert sich an eine besonders
rührende Geschichte. Vor kurzem habe ihn eine Kundin angerufen. Sie habe erzählt, dass sie Krebs
hätte und seit der Chemotherapie keine Nacht mehr durchschlafen würde. Seitdem sie jetzt aber
den Ingwersirup trinke, schlafe sie endlich wieder durch. "Ich hatte Gänsehaut und vielleicht sogar
eine kleine Träne im Auge", sagt Martin.
Von Dienstag bis Donnerstag steht Martin in seiner Manufaktur und produziert drei bis fünf Mal
am Tag. Das macht er am liebsten, gibt er zu. Um Akquise und Werbung hat er sich bis jetzt noch
nicht gekümmert. Zwei Läden habe Martin selbst angesprochen. Alles Weitere ging dann über
Empfehlungen und zufriedene Kunden. "Von allem, was mit Werbung zu tun hat, habe ich einfach
genug", sagt Martin. Momentan ergebe sich alles wie von selbst und damit sei er sehr glücklich.
Als nächsten Schritt wird die Produktion verdoppelt, da er nun größere und effektivere Maschinen
nutzen wird. Vielleicht braucht er für die Zukunft dann auch jemanden, der ihm beim Ingwer schälen
hilft. "Das muss nämlich alles handgemacht werden und nimmt viel Zeit in Anspruch." Wenn
nun das Doppelte an Sirup da wäre, könne auch der Umsatz verdoppelt werden. Dadurch wäre er
dann auch finanziell im grünen Bereich. Martin erinnert sich an die Anfänge und daran, seinen gut
bezahlten und angesehenen Job an den Nagel gehängt zu haben. "Jetzt kann ich sagen, ich bin auf
dem richtigen Weg, auch wenn es nicht immer leicht war."
Copyright: Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle: SZ vom 21.12.2019
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Münchner Merkur
https://www.merkur.de/lokales/erding/pastetten-ort80881/philip-martin-pastettens-kleine-sirup-manufaktur-13812466.html
TV Sendung vom 27.05.2020 dtv im Rahmen der Sendung ntv-wissen:
https://youtu.be/CjuNIOCaXKU
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